Sonne & Mond

Und es begab sich . . .“  so fängt die Weihnachtsgeschichte an. Und so beginnt dieser Text, der Zeugnis gibt von einer Geschichte, die wahrlich auch nicht alltäglich ist. Sie spielte vor hundert Jahren zum ersten Mal und sie spielte als Fortsetzung im Jahre 2017 wieder – mit einer Überraschung an Karneval 2018, im alemannischen Fastnacht genannt. Sie spannt einen Bogen von Thüringen nach Baden-Württemberg, genauer: von Manebach nach Bonndorf/Schw.

        Seit hundert Jahren läuft beim Kinderumzug am Fastnachtssonntag der Ton angebenden Stadtmusik und noch vor "dem Narrenbolizei“ eine Figur voraus, die einzigartig in der alemannischen Fastnacht ist. Und sie läuft auch nicht immer; nur bei schönem Wetter, schließlich ist sie die Sonne. Im Jahre 1915 sei sie das erste Mal gelaufen, so die Historie. Und weil damals Krieg war, wurde (und wird) dieses Datum sanft angezweifelt. . .

        Mit der Sonne war in jenem Jahr ihr Bruder, der Mond,in der Eisenbahn nach Bonndorf unterwegs. Ein Bürger der Stadt hatte im Katalog  von 1913/14 der Manebacher Maskenfabrik Eilers&Mey die Aufsetz- oder Schwellköpfe entdeckt und geordert. Und sie lief nach jüngsten Rechercheren tatsächlich 1915 beim Kinderumzug das erste Mal. Erst jetzt, vor ein paar Tagen im Februar 2018,  teilte ein alter Bonndorfer mit, seine Mutter habe ihm einst erzählt, „wie die Sonne in einer Kiste mit einem Fuhrwerk bei ihnen zu Hause angekommen sei und der Vater damit herumgelaufen sei. Es soll auch einen Mond gegeben haben . . .“, schrieb der Bonndorfer, der auf Grund seines Berufes und seiner historischen Bildung als glaubwürdig gelten muss (was der Autor dieser Zeilen selbstverständlich überprüft hat).Und noch etwas: Wenig später habe sich eine Bondorferin gemeldet, die sagte, die Sonne sei Mitte der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts von ihrem Besitzer an sie veräußert worden und später habe sie eelbst dann die Sonne an die jetzigen Eigner weiter gereicht – dies stimmt! Namen werden nicht genannt, die Historie ist damit etwas gelüftet, aber die Details bleiben ein Fastnachtsgeheimnis.

        Der Mond aber. Was ist mit dem Mond? Er war weg. Die Sonne allein. Aber was verschwunden ist, muss ja nicht für immer weg sein. Bonndorfer Narren der Zunft die Pflumeschlucker gastierten 2015 im Oktober in Manebach und erzählten von der alemannischen Fastnacht, ihrem Brauchtum, und speziell ihrer Zunft der Pfluemschlucker – und, natürlich: der Sonne. Am Rande kam die Rede auf den Mond, den Bruder der Sonne. Oder, wie es richtig heißt: dem Herrn Mond, Bruder von Frau Sonne. Gäbe es ihn noch? Habe man vielleicht noch eine Spur, gar einen der Schwellköpfe? Nichts. Doch nur etwas später, eine Überrasdchung, ein kleiner Hinweis: es gebe noch eine Maskenform; es liege irgendwo noch ein Muster eines Schwellkopfes Mond. Mails ging hin und her, Telefonate wurden geführt, Abmachungen getroffen. Mitte 2017 stand fest: der Mond könne auferstehen als neue Figur nach alter Vorlage, als originalgetreuer Manebacher Mond aus den Händen eines kundigen Maskenbildners, eines Mannes, der jenes Handwerk noch von der Pike auf gelernt hatte.

        Der Mond, der an der Seite seiner Schwester Sonne 1934 beim Manebacher Karnevalsumzug zuletzt getänzelt hatte, wie ein Foto im Haus des Gastes ausweist, der Mond schaute bald darauf in einer kleinen Werkstatt als seitenverkehrte Vorlage seinen Meister an, erhielt eine Portion Pappmaché und erstarrte. Das muss er, sonst kann er nicht auferstehen. Mit Farbe und Kleister wurde er „gefasst“, wie Maskenbildner den Vorgang nennen, wenn die Figur ihr Aussehen nach Originalvorlagen erhält. Dann stellte er sich im Wohnzimmer seines Erschöpfers auf einen Stuhl – prächtig anzusehen. Fertig.

        Fast. Nun musste er sich noch auf den Weg in den Schwarzwald machen. Die Bahn als Transportmittel schied aus. Nicht weil sie nicht zuverlässig wäre, wie man aus dem Verlust 1915 schließen könnte. Nein. Im Gegensatz zu damals, als die Bahnlinien soeben die Höhen des Schwarzwaldes erklommen – und damit nebenbei dem Tourismus Tür und Tor geöffnet – hatten, fährt heutzutage keine Bahn mehr nach Bonndorf. Der Mond musste sich ein anderes Transportmittel suchen, ein sicheres. Und ein verschwiegenes. Er fand es und machte sich im Herbst auf den Weg, nicht bei Nacht und Nebel sondern bei Sonnenschein und froh gemut. Aber gut versteckt unter einem Tarngewand.

        In Bonndorf angekommen huschte er sofort behende in die berühmten Schlossnarrenstuben mit ihren hunderten Figuren, Masken und Narrenutensilien – kein Museum in Europa ist mit jenem vergleichbar -, suchte sich ein sicheres Plätzchen. Dann erhielt er Besuch von seinem Hausherren und einer Schneiderin. Es wurde Maß genommen und geschickte Hände schnitten Stoffe und nähten ihm einen Anzug. Sein Erschöpfer in Manebach sagte: „Der Mond ist super schön gekleidet ! Der Schneiderin ein dreifach Plus. Da freut man sich, wenn alles so zusammen passt.“

        Am Fastnachtssonntag, 2018 war dies am 11. Februar, war der Himmel frau und es nieselte in Bonndorf. Die Sonne blieb zu Hause, der Mond aber – er ging zum ersten Male im Städtchen in der Sonnenschale. Nur hundert Jahre nach seinem mysterösen Verschwinden „ging er in Bonndorf auf“. Die, die etwas wissen von Tradition und echter versteckter Fastnacht, waren gerührt. Andere staunten. Eine Frau am Umzugsrand sagte: „Die Sunne isch wieder do, aber sie sieht ganz andersch us (Die Sonne ist wieder da. Aber sie sieht  ganz anders aus).“